Corona-Pandemie und Ontologien – Wie passt das zusammen?

August 22, 2021
8 min
Semantic Web
Credits to Gert Altmann from pixabay.com

Die Jahre 2020 und 2021 standen voll im Zeichen der weltweiten COVID-19-Pandemie. Überall auf der Welt haben sich Menschen mit dem Virus infiziert und erkrankten oft schwer oder starben gar an den Folgen der Erkrankung. Während viele Erkrankte oft grippeähnliche Symptome wie Husten oder Fieber haben, treten auch bisher eher ungewöhnliche Symptome wie eine Störung des Geschmacks- und Geruchssinns oder schwerwiegende Symptome wie eine (langfristige) Schädigung des Lungengewebes auf [1, 2]. Wie immer bei neuen Erregern und Erkrankungen suchten und suchen Mediziner nach Lösungsmethoden, um ihre Patienten zu behandeln und ihre Symptome abzumildern oder gar die Gründe ihrer Behandlung zu bekämpfen. Bei der Behandlung von COVID-19 wurde dafür aus Mangel eines explizit dafür entwickelten Wirkstoffs teilweise auf Arzneimittel zurückgegriffen, die für andere Krankheiten entwickelt wurden, z.B. das zur Behandlung gegen Ebolafieber entwickelte Medikament Remdesivir [2]. Dieses wurde im Juli 2020 durch die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA für bestimmte COVID-Patienten zur Behandlung zugelassen [2]. Parallel finden Studien zu anderen Medikamenten und Wirkstoffen statt. Aktuell werden auf clinicaltrials.gov (einer Seite für Publikationen klinischer Studien) über 4500 Studien mit mehr als 400 Wirkstoffen gelistet [2]. Diese werden auf ihre Wirksamkeit, ihre Einsatzgebiete und ihre Sicherheit hin überprüft. Unter Anderem auf Basis dieser Studien entscheiden Behörden wie die EMA über die Zulassung der Wirkstoffe.

Ontologien als technische Hilfestellung

Da Erkrankungen mit Erregern und damit auch die Behandlungen weltweit stattfinden, wird (bei allen Erregern und Erkrankungen) nach Möglichkeiten gesucht, die Erfahrungen in der Behandlung und das Wissen um Arzneimittel schnell und effektiv zwischen behandelnden Ärzten und Arzneimittelforschern auszutauschen. Eine Möglichkeit bieten dabei Ontologien, in denen Wissen über Behandlungen und deren Erfolge strukturiert abgelegt werden können. Dabei können Entitäten wie „Erkranung“, „Patient“ oder „behandelt mit Medikament“ semantisch standardisiert beschrieben und miteinander verknüpft werden. Es können somit beispielsweise Therapieversuche mit bestimmten Medikamenten dokumentiert und der wissenschaftlichen Community zur Verfügung gestellt werden. Den einzelnen Einträgen der Ontologie (d.h. den Therapieversuchen) kann dann mithilfe semantisch standardisierter Entitäten eine positive, negative oder andere Wirkung bescheinigt werden.

Aus diesen Gründen wurden in den letzten Jahren hunderte biomedizinische Ontologien mit ganz unterschiedlichen Fokussen entwickelt und veröffentlicht. Auf bioportal.bioontology.org kann man beispielsweise einschlägige Ontologien nachschlagen oder medizinische Begriffe suchen, die in ontologische Klassen umgesetzt wurden.

Eine Ontologie für das Coronavirus

Diesen Trend machten sich auch die Entwickler der CIDO-Ontologie zu Nutze. Es sollte eine Ontologie entwickelt werden, die eine standardisierte, von Menschen und Computern interpretierbare Beschreibung und Darstellung verschiedener Coronavirus-Infektionskrankheiten ermöglicht, einschließlich ihrer Entstehung, Übertragung, Krankheitsentwicklung, Diagnose, Prävention und Behandlung [3]. Ziel war es also, das über Krankheiten im Zusammenhang mit Coronaviren generierte Wissen zu sammeln und öffentlich in standardisierter Form zur Verfügung zu stellen. Durch die Form als OWL-Ontologie werden die Informationen zusätzlich für weitere Forschungsarbeiten maschinenlesbar dargestellt. Was eine Ontologie ist, könnt Ihr in diesem Artikel nachlesen.

Um sich in das biomedizinische wissenschaftliche Umfeld möglichst gut zu integrieren, wurden gängige Ontologien aus verschiedenen medizinischen Fachbereichen integriert [4]. Dadurch ist gewährleistet, dass Programme, die beispielsweise medizinische Zusammenhänge bezüglich der medikamentösen Therapien herausfinden sollen, dies auch in Bezug auf diese Ontologie können. Dabei werden verschiedene Wissensbasen (Ontologien) ganz im Sinne des Semantic Web miteinander semantisch verlinkt und verbunden. Der zentrale Begriff hierbei lautet Linked Data, den wir in diesem Blogartikel schon behandelt haben. Dabei werden Entitäten aus verschiedenen Ontologien semantisch miteinander verbunden, wodurch Reasoner Zusammenhänge zwischen den Einträgen der Ontologien herausstellen können. Ein Beispiel wäre das Gleichsetzen der Klasse Corona-Virus aus der CIDO-Ontologie und der Klasse Coronavirus aus einer Ontologie, die Viren im Allgemeinen beschreibt. Alternativ kann auch die in einer anderen Ontologie bestehenden Klasse direkt in der CIDO-Ontologie genutzt werden.

Aufbau der Ontologie

Die CIDO-Ontologie umfasst wie oben schon beschrieben alles, was medizinisch mit dem Coronavirus zu tun hat, also das Virus selbst, die Krankheit, Medizin, usw. Im folgenden Bild ist der schematische Aufbau der Ontologie abgebildet. Dabei stammt nicht jede Klasse und jedes Object-Property aus der CIDO-Ontologie selbst, sondern vieles wurde aus anderen Ontologien übernommen, bzw. referenziert.

Ausschnitt des Aufbaus der CIDO-Ontologie, [4]

Wie in der Abbildung zu sehen, beschreibt die Ontologie z.B. einen COVID-19 disease process, der durch SARS-CoV-2 verursacht wird. Die Verbindung caused by infection with zeigt die Verbindung zwischen dem Krankheitsverlauf und dem Erreger, der durch den orangenen Pfeil als Virus deklariert wird. Eine COVID-19 drug, also eine Medizin, ist eine Behandlung für den Krankheitsverlauf und die Impfung (COVID-19 vaccine) immunisiert gegen den Krankheitsverlauf. Der Erreger (SARS-CoV-2) infiziert Tiere, inklusive Menschen. Der Krankheitsverlauf tritt in der Lunge auf (occurs in). Hier sei zu erwähnen, dass diese Aussage nicht ausschließt, dass der Krankheitsverlauf nicht auch in anderen Organen oder Körperteilen auftritt, denn OWL-Ontologien gehen grundsätzlich von der Open-world assumption aus. Demnach kann alles wahr sein, so lange nicht ontologisch etwas anderes beschrieben ist. So ist ein Auftritt des Krankheitsverlaufs in der Leber möglich. Die Ontologie widerspricht dem nicht. Das Gegenteil – die Closed-world assumption – drückt aus, dass ausschließlich das als wahr angenommen wird, was in einer Ontologie beschrieben wird. Wenn Ihr mehr zur Open- und Closed-world assumption erfahren wollt, empfehlen wir Euch diesen interessanten Blogartikel.

Nutzung der Ontologie

Bei der Erforschung von Medikamenten gegen einen COVID-19-Krankheitsverlauf wurde die CIDO-Ontologie verwendet, um Informationen über die Medikamente bezüglich der chemischen oder biologischen Beschaffenheit, der Wirkungsweise (z.B. welche spezifische Zellen durch das Medikament geschützt werden) oder der Wirksamkeit in Reagenzglasversuchen oder tatsächlichen Behandlungen am Menschen zu sammeln. Darauf aufbauend können dann Zusammenhänge zwischen bestimmten Inhaltsstoffen der Medikamente und deren Wirken im Körper zusammengetragen werden. Aus diesem Wissen lassen sich noch weitere Schlussfolgerungen ziehen, z.B. welche Medikamente man noch genauer untersuchen sollte [5]. In einem Artikel des New Jersey Institute of Technologies (NJIT) wird die Ontologie als „relevant für die kommenden Jahre“ bezeichnet, selbst wenn das öffentliche Interesse an COVID-19 durch Immunisierungen durch die Impfungen abnehmen sollte [6]. Auch in das größte Netzwerk biologischer und biomedizinischer Ontologien OBO wurde sie aufgenommen [7].

Die CIDO-Ontologie ist ein Open-Source-Projekt und auf ihrer Github-Seite frei einsehbar. In darauf aufbauender Forschung wurden 151 Medikamente zusammengetragen, die bei mindestens einer Person eine positive Wirkung gegen die Infektion mit einem Corona-Virus war (SARS-CoV, SARS-CoV-2, MERS-CoV). In der Studie wurden die Medikamente gemäß ihrer Wirkungsweise und Effektivität ontologisch beschrieben. Dabei hemmen 32 Medikamente den Eintritt des Virus in die Wirtszellen, 51 Medikamente hemmen die Virusreplikation und 11 verändern die Immunantwort auf eine Infektion [5]. Basierend auf dem formulierten Wissen können weitere Forschungen und Entwicklungen aufbauen. Die Technologie der Ontologie wird in der Praxis an vielen Orten genutzt – wie in diesem Blogeintrag beschrieben zum Beispiel in der medizinischen Forschung.

Referenzen
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Nicolai Maisch
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