Selbstbewusste Roboter – Wie man Maschinen beibringt, welche Fähigkeiten sie haben

April 4, 2021
8 min
Industrie 4.0
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In den letzten zwei Artikeln sind wir darauf eingegangen, welche Möglichkeit eine Industrie 4.0 Verwaltungsschale bietet, um den digitalen Zwilling eines Assets zu beschreiben. Wir sind auf die grundlegenden Bestandteile der Verwaltungsschale eingegangen, haben ausgeführt, wie man diese identifiziert und haben Beispiele dafür aufgezeigt. Ihr habt Teilmodelle als funktionale Gliederung von digitalen Zwillingen kennengelernt und die Teilmodellelemente, die die Teilmodelle mit Inhalt und damit mit Leben füllen. Als Beispiele dafür wurden „Properties“ – also Datenelemente mit einem bestimmten Wert [1] – oder auch „Files“ genannt, die der Verwaltungsschale angehängt werden können. Das Verwaltungsschalen-Metamodell der Plattform Industrie 4.0 gibt jedoch noch einige Möglichkeiten mehr, um Teilmodellelemente zu beschrieben. Auf eine bestimmte Option möchten wir in diesem Artikel näher eingehen: Die „Capabilities“!

Capabilities

Um das Prinzip der Capabilities zu erklären, stellen uns jetzt mal vor, alle Assets innerhalb einer Fabrik oder eines Gebäudes haben einen vollständig mit Properties beschriebenen digitalen Zwilling. Wir können also jede Maschine eindeutig identifizieren, wissen durch komplette Beschreibung der Properties wie die Maschinen aussehen und welche Merkmale sie haben und haben eine funktionierende IT-Infrastruktur, um die Kommunikation mit und zwischen den Verwaltungsschalen zu ermöglichen. Kurz gesagt: Alles bereit für eine flexible und selbststeuernde I4.0-Fabrik, wie in diesem Artikel beschrieben. Doch ist das wirklich so? Versetzen wir uns mal in die Produktionshalle einer Fabrik, die Skateboards herstellt. Alle Maschinen zur Fertigung sind durch digitale Zwillinge komplett beschrieben und können miteinander kommunizieren – mit dem Ziel, eine vollautomatische Produktion der Skateboards.

Skateboard in an Industrie 4.0 factory

Ein Produktionsschritt zur Herstellung der Skateboards ist das Bohren der Löcher, um die Achsen mit dem Board verbinden können. Um ihn auszuführen, gibt es drei Maschinen in der Fabrik: Eine Bohrmaschine, eine Stanze und eine Laserschneidemaschine. Alle drei haben die Fähigkeit, Löcher auf andere Weisen in die Bretter zu bringen. Die Fähigkeit, dies zu tun, wird aber durch die eigentlich vollständigen digitalen Zwillinge (alle Properties) nicht beschrieben. Es werden zwar beispielsweise die maximale Drehzahl der Bohrmaschine oder das Stanzgewicht der Stanze als Merkmale aufgeführt, jedoch fehlt ein für die Interkation essentieller Bestandteil der Assetbeschreibung: Die Beschreibung der Fähigkeiten der Assets, die mit dem englischen Begriff „Capabilities“ bezeichnet werden.

Wenn Maschinen zwar die Datenelemente anderer Maschinen erkennen können und mit ihnen kommunizieren können, wissen sie immer noch nicht, welche Effekte die anderen Maschinen eigentlich auf ihr Umfeld haben können. Durch die Zuordnung der Capability „Bohren“ zur Bohrmaschine ist anderen an der Produktion beteiligten Maschinen beispielsweise klar, dass sie diesen Produktionsschritt prinzipiell ausführen kann. Es muss dann noch verglichen werden, ob die Anforderungen des Produktionsschritts im Detail mit den Merkmalen der Bohrmaschine übereinstimmen. Es muss also beispielsweise mittels der in den Verwaltungsschalen beschriebenen Merkmale ein Abgleich zwischen möglichen Bohrungsdurchmessern der Bohrmaschine und dem tatsächlich geforderten Durchmesser stattfinden.

Anschaulich könnte man es erklären, wie in folgendem Bild dargestellt: Die Löcher durch das Board sollen durch die Bohrmaschine ausgeführt werden. Das Board fragt die Bohrmaschine, ob sie Löcher herstellen kann. Durch die Beschreibung der Fähigkeit „Bohren“ in der Verwaltungsschale der Bohrmaschine ist es klar, dass dieser Prozess ausgeführt werden kann. Das Board fragt die Maschine dann, ob es auch ein Loch mit einem Durchmesser von 6 Millimeter bohren kann. Als minimaler Bohrdurchmesser ist in den Merkmalen der Bohrmaschine jedoch 8 Millimeter hinterlegt. Der Produktionsschritt kann also nicht von der Bohrmaschine ausgeführt werden.

Feasability Checking Industrie 4.0 Capability

Interoperable Interkationen durch die Abstraktion von Fähigkeiten

Doch was ist, wenn mehrere Maschinen mit unterschiedlichen Fähigkeiten für einen Produktionsschritt in Frage kommen? In unserer Beispielfabrik gibt es drei Maschinen, die Löcher in das Skateboard machen können. Wird allerdings der Fertigungsschritt „Bohren“ angefragt, kann diesen nur die Bohrmaschine positiv beantworten. Um auch andere Maschinen „ansprechen“ zu können, muss der Produktionsschritt des Herstellens der Löcher abstrahiert werden, wie in folgendem Bild dargestellt:

Capability Checking Industrie 4.0

Drei der vier Maschinen können Löcher herstellen: Die Bohrmaschine, die Stanze und die Laserschneidemaschine. Die angefragte Säge kann den Auftrag nicht ausführen und beantwortet die Anfrage negativ. Danach werden die drei in Frage kommenden Maschinen auf ihre Möglichkeit untersucht, den Produktionsschritt tatsächlich auszuführen. Wie oben beschrieben, scheidet die Bohrmaschine wegen ihres zu großen minimalen Bohrungsdurchmessers aus, die Stanze und die Laserschneidemaschine können den Produktionsschritt auch unter Berücksichtigung der Produktionsdetails wie der Durchmesser oder mögliche Werkstoffe ausführen. Sie können also ein Loch anfertigen, obwohl beide nicht die Capability „Bohren“ haben, sondern „Stanzen“ und „Laserschneiden“. Es muss also durch eine Abstraktion der Fähigkeiten definiert sein, dass „Bohren“, „Stanzen“ und „Laserschneiden“ alle im Grunde dasselbe Ziel haben: „Ein Loch herstellen“.

Identifizieren der Capabilities

Um die Abstraktion der Capabilities zu definieren, kann man sich einer Technologie bedienen, die vor allem im Bereich des Semantic Web eine breite Anwendung findet: Ontologien. Als Ontologie bezeichnet man generell eine Sammlung von Wissen, das in strukturierter Form vorliegt. Das klingt auf den ersten Blick wahrscheinlich recht sperrig oder abstrakt, bietet aber Maschinen die Möglichkeit, Zusammenhänge zwischen bestimmten Begriffen und Dingen zu erkennen. Beginnen wir mit einem Beispiel aus einem anderen Fachbereich: In einer Tier-Ontologie wird definiert, dass es Säugetiere, Vögel, Fische und Insekten gibt. Die jeweiligen Tierarten können dabei noch weiter unterteilt werden, wie in der folgenden Abbildung dargestellt:

Ontologie Tiere Industrie 4.0
Beispielontologie für Tierarten

Es wird also definiert, dass die genannten Tiere vom Typ der jeweiligen Tierart sind. Da Ontologien in der Technik in der Regel maschinenlesbar sind, könnte eine Maschine durch einen Zugriff auf diese Ontologie herausfinden, dass Elefanten und Dackel Säugetiere und Haie Fische sind. Auf die gleiche Weise können Fähigkeiten von Maschinen definiert werden. In einer Ontologie, die Holzbearbeitungsmöglichkeiten definiert, werden folgende Einträge festgelegt:

Ontologie Holz Werkzeuge Industrie 4.0
Beispielontologie für Holzbearbeitungsarten

Kennen alle Maschinen in einer Fabrik diese Ontologie, könnten sie durch den Austausch ihrer Fähigkeiten herausfinden, wozu andere Maschinen in der Lage sind und ob sie gegebenenfalls einen gewünschten Auftrag ausführen können. In der Skateboard-Fabrik könnten also die Maschinen untereinander austauschen, welche Fertigungsschritte sie ausführen können und welche nicht.

Zugriff auf Ontologien

Im genannten Beispiel haben alle Maschinen der Fabrik Zugriff auf das Wissen der Ontologie beziehungsweise haben das Wissen einprogrammiert. Man kann jedoch in der Praxis nicht davon ausgehen, dass verschiedenste Hersteller ihren Maschinen ein und dieselbe Wissensbasis mitgeben. Deshalb werden Ontologien häufig online zur Verfügung gestellt, damit jeder andere Web-Teilnehmer Zugriff auf das dargestellte Wissen hat. Wie der Zugriff auf eine Online-Ontologie im Detail funktioniert und welche Möglichkeiten es noch gibt, Zusammenhänge zwischen Einträgen einer Ontologie zu formulieren und formalisieren, werden wir in der Zukunft im Bereich Semantic Web erklären. Weitere und tiefergehende Literatur zum Thema Capability- bzw. Skill-Based Engineering haben wir in den Referenzen verlinkt.

Referenzen
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Nicolai Maisch
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