Die Basis für Interoperabilität - Die Industrie 4.0-Komponente

February 28, 2021
6 min
Industrie 4.0
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In einer Industrie 4.0-Welt hat jede Komponente einen digitalen Repräsentanten. Dieser soll alle notwendigen Informationen einer Komponente digital - also maschinenlesbar - bereitstellen können.

Wenn man sich im Internet schlau machen möchte, was ein digitaler Repräsentant im Sinne von Industrie 4.0 ist, dann landet man häufig bei der Begrifflichkeit digitaler Zwilling. Auch wenn sich der Begriff digitaler Zwilling schön liest und die Thematik eigentlich auch gar nicht so schlecht beschreibt, so steckt dahinter wenig Handfestes. Es gibt keine Norm oder Spezifikation die beschreibt, was ein digitaler Zwilling ist. Und hier kommt man zu einem Problem: Viele Unternehmen schreiben sich auf die Fahne, dass Ihre Geräte einen digitalen Zwilling haben. Keinem Unternehmen Kann man vorwerfen, dass hier geflunkert wird. Da es keinen inhaltlichen Konsens darüber gibt, was ein digitaler Zwilling ist, kann ein digitaler Zwilling alles und nichts sein.  Wenn jedes Unternehmen sein eigenes Verständnis darüber hat, was ein digitaler Zwilling ist, kann sich jeder ausmalen, dass es schwierig wird digitale Zwillinge autonom miteinander kommunizieren zu lassen. Für einen digitalen Repräsentanten wird also ein einheitliches Format benötigt. Dies entwickelt bspw. die Plattform Industrie 4.0 die im Jahr 2013 von den Bundesministerien für Wirtschaft & Energie und für Bildung & Forschung ins Leben gerufen. In dieser Plattform organisieren sich verschiedenste Unternehmen und Verbände mit dem Ziel, die digitale Transformation in Deutschland voranzubringen. Durch die Plattform Industrie 4.0 werden in verschiedenen Arbeitsgruppen fachliche Lösungsansätze entwickelt, die über die Plattform frei zugänglich sind. Einer dieser Lösungsansätze ist die Industrie 4.0-Komponente, welche unter anderem aus einem digitalen Repräsentanten besteht. Er trägt den Namen „Verwaltungsschale“. Dieser klingt leider aus marketingtechnischer Sicht nicht so sexy wie digitaler Zwilling, hier findet man jedoch etwas Handfestes in Form einer Spezifikation. Die Folgenden Abschnitte widmen sich dem Inhalt dieser Spezifikation.

Um ein Verständnis für die Verwaltungsschale zu entwickeln, muss zunächst verstanden werden was eine Industrie 4.0-Komponente ist. Diese setzt sich immer aus zwei Teilen, dem Asset und der Verwaltungsschale, zusammen.

Asset

Ein Asset ist die Komponente, die mit einem digitalen Repräsentanten ausgestattet werden soll. Warum sagt man also zu dem Asset nicht einfach „Komponente“? Erklärung folgt: Wenn man sich ein Beispiel für ein Asset überlegt, landet man relativ schnell bei Fahrzeugen, Robotern oder Fließbändern. Dies könnte man unter dem Sammelbegriff „Gegenstand“ führen. Nun ist es aber so, dass ein Asset auch ein Stück Software, also eine Datei sein kann. Als Beispiel nutze ich hier immer gerne den digitalen Bauplan eines Produkts. Auch ein Bauplan beinhaltet Informationen, die von anderen Programmen oder Nutzern abgerufen werden können. Es ist also möglich und sinnvoll sowohl physische als auch digitale Komponenten zu Industrie 4.0-Komponenten zu machen. Gesucht ist also eine deutsche Begrifflichkeit, die sowohl für einen physischen Gegenstand als auch für ein Stück Software stehen kann. Hier landet man bei „Komponente“. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird dieses Wort aber eher mit physischen Gegenständen assoziiert. Aus diesem Grund hat es sich im Industrie 4.0-Fachjargon durchgesetzt den englischen Begriff „Asset“ zu adaptieren und auf das deutsche Wort „Komponente“ zu verzichten. Zusammengefasst: Das Asset ist eine physikalische oder digitale Komponente.

Die Verwaltungsschale

Wofür braucht man überhaupt eine Verwaltungsschale? Folgendes Szenario: Ein Mensch betritt einen Raum und ein Bewegungsmelder erkennt dies. Der Bewegungsmelder meldet nun an die Verwaltungsschale der Glühbirne, dass diese das Licht einschalten soll. Der Befehl wurde also nicht direkt an das Asset - die Glühbirne - geschickt, sondern an den digitalen Repräsentanten - die Verwaltungsschale. Dieser gibt den Befehl dann an das Asset weiter. Die Kommunikation findet also nicht zwischen den Assets, sondern zwischen den Verwaltungsschalen statt.
Wie zu Beginn des Artikels beschrieben, ist die Verwaltungsschale der digitale Repräsentant des Assets. In der Verwaltungsschale werden Informationen und Merkmale über das Asset digital in einem maschinenlesbaren Format abgebildet. Was kann die Verwaltungsschale also? Salopp gesagt sollte die Verwaltungsschale eines Assets alles können, was ein Asset eben auch kann, nur eben digital. Das bedeutet im Klartext: Wenn das Asset eine Glühbirne ist, dann kann diese Glühbirne ein- oder ausgeschaltet werden. Außerdem stehen auf den meisten Glühbirnen noch Typinformationen wie die Größe der Fassung, Wattzahl oder die zugelassene Spannung. Diese Informationen und Funktionen sollten in einer Verwaltungsschale ebenfalls vorhanden sein.

Struktur einer Verwaltungsschale

Eine Verwaltungsschale beinhaltet unterschiedliche Teilmodelle. Unser Glühbirnen-Beispiel eignet sich hier wieder, um das ganze näher zu erläutern und zu illustrieren. In der Abbildung 2 ist die Glühbirne und die dazugehörige Verwaltungsschale dargestellt. Eine Verwaltungsschale wird klassischerweise als hellblauer Bügel gezeichnet. In der Verwaltungsschale liegen vier Teilmodelle „Identifikation“, „Steuerung“, “Dokumentation“ und „Kennzahlen“. Jedes Teilmodell befasst sich dabei mit einem eigenen Themengebiet.

Struktur einer Industrie 4.0-Komponente
Struktur einer Industrie 4.0-Komponente
  • Wenn jemand wissen möchte, wie der Herstellername der Glühbirne ist, dann hat das Teilmodell „Identifikation“ eine Antwort darauf.
  • Soll die Glühbirne ein- oder ausgeschaltet werden, kümmert sich das Teilmodell „Steuerung“ darum.
  • Möchte man wissen, welche durchschnittliche Lebensdauer diese Glühbirne hat, so fragt man das Teilmodell „Kennzahlen“.
  • Benötigt man die Bedienungsanleitung, schaut man in dem Teilmodell „Dokumentation“ nach und erhält die dazugehörige pdf-Datei.

Eine Verwaltungsschale ist keinesfalls auf diese vier Teilmodelle limitiert. Diese dienten hier lediglich dazu, ein verständliches Beispiel anzuführen. Eine Verwaltungsschale kann null bis unendliche Teilmodelle haben und jedes Teilmodell kann sich mit einem beliebigen Thema befassen.

Struktur eines Teilmodells

Ein Teilmodell kann sich aus beliebig vielen Teilmodellelementen (im Folgenden Elemente) zusammensetzen. Am besten lässt sich das anhand eines unserer obigen Beispiele erklären: Das Teilmodell „Identifikation“ ist dafür verantwortlich gewesen, dass die Verwaltungsschale auf Anfrage den Herstellernamen der Glühbirne preisgeben kann. Damit die Verwaltungsschale dieser Anforderung gerecht werden kann, ist es notwendig das Element „Herstellername“ in dem Teilmodell „Identifikation“ zu hinterlegen.  Diese Art von Element würde im Fachjargon als „Property“ (zu Deutsch „Eigenschaft“) bezeichnet werden. Auch hier hat sich der englische Begriff wieder durchgesetzt, weshalb dieser im Folgenden auch weiter genutzt wird.

Unser Teilmodell „Identifikation“ hätte demnach das Property „Herstellername“, welches als Wert den Namen des Herstellers hat. Wie die Struktur eines solchen Properties laut der Verwaltungsschale auszusehen hat, könnt ihr im linken unteren Bereich der Abbildung 3 sehen. Ein Property besteht nicht nur aus einem Namen (idShort) und einem dazugehörigen Wert (value), sondern kann auch Informationen über den Datentyp (valueType / Ganze Zahl, Kommazahl, Zeichen, Wort …) enthalten.  Dies sind bei weitem nicht alle Attribute die ein Property beschreiben kann, jedoch genügt dies für ein erstes Verständnis.

Allgemeine & beispielhafte Struktur von Elementen
Allgemeine & beispielhafte Struktur von Elementen

Die Elemente eines Teilmodells müssen aber nicht immer nur Properties sein. Genauso ist es möglich, dass ein Element eine Funktion, eine Datei oder ein Event sein kann. Unter den Beispiel-Teilmodellen, gab es das Teilmodell „Dokumentation“ welches dem Nutzer die Bedienungsanleitung als pdf-Datei zur Verfügung stellt. Eine pdf-Datei hat im Vergleich zu einem Property eine andere Struktur da eine Datei keinen klassischen Datentyp hat. An dieser Stelle darf der Datentyp nicht mit einem Dateiformat verwechselt werden (Beispiel Datentyp: Kommazahl / Beispiel Dateiformat: pdf). Aus diesem Grund hat das Element „Datei“ (File) eine andere Struktur als ein Property. Eine Datei muss einen Pfad hinterlegt haben, unter dem die Datei abrufbar ist, z.B. kann dies ein Pfad zu einer Website sein. Die Struktur eines solchen Datei-Elements ist ebenfalls in Abbildung 3 dargestellt.

Viele Aspekte der Verwaltungsschale wurden in diesem Beitrag zunächst außen vorgelassen, da die gesamte Struktur einer Verwaltungsschale nicht in einem einzigen Blog-Beitrag zu behandeln ist. Zu einzelnen Aspekten werden noch weitere Beiträge veröffentlicht.

Zusammengefasst besteht eine Industrie 4.0-Komponente aus Sicht der Plattform Industrie 4.0 immer aus einem Asset und einer dazugehörigen Verwaltungsschale. Das Asset kann eine Soft- oder eine Hardwarekomponente sein. Die Verwaltungsschale ist der digitale Repräsentant des Assets, welcher Informationen bereitstellen und verarbeiten kann.

Wenn man die Industrie 4.0-Komponente auf die wenigen vorherigen Sätze herunterbricht, liegt der Gedanke nahe, dass es ja bereits verschiedene smarte Geräte gibt, die dieses Szenario erfüllen, bspw. die sogenannten Smart-Home Geräte. Es ist heute schon Stand der Technik, dass man über sein Smartphone einem Smarthome-System sagen kann, dass eine Glühbirne eingeschaltet werden soll. Und da man den Einschaltbefehl ja nicht wirklich an die Glühbirne, sondern an das Smarthome-System schickt, hat man hier ja auch einen digitalen Repräsentanten. Genauso gibt es auch smarte Waschmaschinen, die man über eine App steuern kann. Handelt es sich also hierbei bereits um Industrie 4.0-Komponenten? Es ist ja schließlich ein Asset und ein digitaler Repräsentant vorhanden? Leider nein. Es handelt sich um herstellerabhängige Systeme und Abhängigkeiten von einzelnen Herstellern ist einer der großen Aspekte dem Industrie 4.0 etwas entgegensetzen will. Verstehen wir uns nicht falsch: Es ist absolut möglich eine Schnittstelle zu bauen, damit die smarte Waschmaschine mit der smarten Glühbirne kommunizieren kann. Dafür müssten die beiden Hersteller sich nur gegenseitig austauschen und ihre Kommunikationsbefehle aufeinander abstimmen. Die Industrie-Welt besteht aber leider nicht nur aus zwei Unternehmen und somit ist es nicht möglich, dass jeder Hersteller die digitale Schnittstelle jedes anderen Herstellers bedienen kann. Man benötigt also ein hersteller- und auch technologieunabhängiges System, die Verwaltungsschale. Sie hat eine klar vorgegebene Struktur und orientiert sich nicht an Geschäftsmodellen oder Kommunikationsprotokollen (Beitrag zu „Kommunikationsprotokollen“ folgt 😉). Grob gesagt gibt die Verwaltungsschale erstmal nur vor, wie man Informationen eines Assets zu sortieren hat und zwar nach Teilmodellen und Teilmodellelementen. Mit der Verwaltungsschale geht noch sehr viel mehr, aber für einen ersten Eindruck sollte dies erstmal genügen.

Wo steht die Verwaltungsschale heute? Die Erarbeitung des Modells der Verwaltungsschale ist soweit abgeschlossen. Die Plattform Industrie 4.0 hat das Dokument „Details of the Asset Administration Shell – Part 1“ veröffentlicht. Es gibt auch bereits das Dokument „Details of the Asset Administration Shell – Part 2“. In diesem Dokument werden unter anderem technologieneutrale APIs für die Verwaltungsschale definiert. Bisher habe ich lediglich Dokumente und keine praxisbezogene Technologie aufgezählt. Das Frauenhofer Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE) hat im Zuge eines vom Land geförderten Projektes ein SDK zur Erstellung und Nutzung von Verwaltungsschalen entwickelt. Dieses wird in den geläufigen Programmiersprachen Java und C++ angeboten. Zugegebenermaßen ist mir noch kein konkretes Industrie-Szenario bekannt, in dem das Konzept der Verwaltungsschale Anwendung findet. Man redet hier aber ja auch über die vierte industrielle „Revolution“ und nicht nur über ein „Update“.

Referenzen
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Björn Kämper
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